Mittwoch, 29. April 2015

„ST. THOMAS – SINGELGRACHT – EMERALD BEACH HOTEL“

Der leichte Schwell der von der Karibischen See langsam über den Pillsbury Sound in die Bucht gelaufen ist, hat die Nachtruhe nicht sonderlich gestört. Wir frühstücken an Deck und Erich meint lachend, meine weichen Frühstückseier sind die besten der Karibik, bevor wir auslaufen und noch einmal die Karibik spüren, die wegen dem seit Tagen andauernden Südwind recht ordentliche Wellen nach St. Thomas schickt.

Das AIS zeigt uns, dass die „Singelgracht“ zu unser aller Überraschung schon angekommen ist! „Die liegt schon vor der Reede“, ruf ich zur Crew, „das gibt’s doch nicht!“. Die Singelgracht ist jenes Containerschiff, das unsere Santina zurück nach Europa bringen soll. „Zwei Tage früher als geplant!“ Jetzt wird recht schnell alles wieder einmal `Das letzte Mal´. „Man wird schon ein wenig sentimental“ denke ich am Weg entlang der Südküste von St. Thomas.

Wir passieren die Capella Islands, eine kleine vorgelagerte Inselgruppe, halten ausreichend Abstand vom Packet Rock, der mit einem Gefahrenzeichen gut betonnt ist und segeln bald zwischen den Inseln Hassel Island und Water Island in den East Gregerie Channel hinein, so lange, bis wir in der Abdeckung der Insel sind. Dann runden wir Banana Point im Norden von Water Island und sehen schnell die orangefarbene Singelgracht an der Reede, die bereits mit dem Verladen der ersten Schiffe begonnen hat.

„Seemann lass dir Zeit, es eilt“, sagt ein Sprichwort, das jetzt wenig zur Beruhigung beiträgt, nachdem uns unser amerikanischer Agent allen Ernstes am Telefon mitteilt, dass unsere Santina bereits heute Nachmittag verladen wird. Es war wieder so ein chaotisches Telefonat wie all jene in den Tagen und Wochen zuvor, wo wir ganz einfach nur wissen wollten, wann und wo genau die Singelgracht ankommt und wann und wo und wie die Santina verladen wird. Heute hat er nicht einmal mehr gewusst, ob wir ein Katamaran oder eine Slup sind.



Es ist 11.50 Uhr, wie wir an eine Boje in der Ruyter Bay gehen, mit Blickbeziehung zur Singelgracht und gleich gegenüber der Crown Bay Marina, die uns mit wenig Bedauern am Funk mitgeteilt hat, dass sie nicht einmal für wenige Stunden einen Liegeplatz für uns frei hat, wo wir gerne das Schiff für ihre Reise über den Atlantik vorbereiten wollten.

Uns bleiben nur wenige Stunden um die Genua zu bergen, das Großsegel zu verzurren, das Schiff unter und an Deck klar zu machen und nicht zuletzt um unsere Koffer zu packen und Ria und Erich an Land zu bringen. „Wir haben noch nicht einmal ein Zimmer“, stellen wir während der Arbeit fast so nebenbei fest und auch, „Es ist Karneval auf St. Thomas“, was alles nicht gerade leichter machen wird.

Alles gelingt. Es ist unglaublich heiß, das Team perfekt eingespielt. Bald legen wir an der Tankstelle in der Crown Bay Marina an. „Aus- und Einsteigen ist hier nicht möglich“ meinen die wenig freundlichen Jungs am Marinagelände, nachdem Erich und Ria die Santina bereits verlassen haben. Mit allen unseren Gepäckstücken und um alle weiteren Inselschritte zu organisieren. Eine mit ein wenig Enttäuschung entrichtete „Anlegegebühr“ hat dann die andere Seite an der Anlegemole wieder beruhigt.



Uschi und ich gehen wieder zurück zum Ankerplatz, beobachten die Verladung einer Superyacht, was alles in allem und von Minute zu Minute zur Steigerung der Spannung beiträgt. Dann motoren wir die wenigen Meter in Richtung Bordwand der Singelgracht, die immer höher zu werden scheint, je näher wir an das Schiff kommen. Knappe zwei Stunden kreisen wir vor und entlang dem Frachter, bis die Superyacht wieder vom Deck ins Wasser gelassen wird. „Falsche Schiffsangaben“ erzählt uns später Toni, der bayrische Taucher, der die Gurte des Kranes unter den Schiffen an den richtigen Stellen des Unterwasserschiffes platziert.


Wir gehen längsseits an der riesigen Bordwand des Frachters. Lange Leinen fallen von Deck zu uns herunter. „It´s Dinner Time“ rufen uns die Jungs von ganz oben plötzlich zu und auch Toni der Taucher verabschiedet sich mit einem Lächeln. Uschi und ich müssen schmunzeln, wie wir so alleine im Cockpit der Santina sitzen, die riesige orange Stahlwand des Frachters neben uns, die Sonne langsam untergehend. „Müssen wir hier übernachten?“



Irgendwann werden Schweinwerfer eingeschaltet, kündigen die Fortsetzung der Verladearbeiten an. Ein zweites Schiff geht längsseits. Toni der Taucher kommt wieder. „Die Ladeordnung sagt, dass ihr das letzte Schiff seid, das heute verladen wird“, ruft er uns zu und noch einmal dürfen wir das Kranen einer Yacht aus nächster Nähe beobachten. Endlich kommen dann doch recht klare Anweisungen von ganz oben. „Achterstag weg, Dirk nach vorne, Leinen befestigen“. Dann hebt sich langsam unsere Santina aus der Karibischen See, wird vorsichtig entlang der Bordwand hinauf gekrant, bis zu einer ersten Ladefläche, wo Uschi und ich recht vorsichtig von der Santina zur Singelgracht hinübersteigen müssen, auf das riesige Deck des Frachters.








Alles scheint jetzt noch größer, noch weiter, alles ein wenig überdimensioniert. Unzählige Menschen sind hier an Deck, viele scheinen noch Kinder zu sein, alle mit Helm, festes Schuhwerk, Arbeitsmontur mit Leuchtstreifen. Uschi und ich dürfen noch einmal an Bord um alles für die Reise des Schiffes über den Atlantik klar zu machen. „Die Santina hat einen guten Platz“ stellen wir beide zufrieden fest, wie wir vor dem Schiff stehen, sehen, wie das Schiff festverzurrt nahezu in Decksmitte aufgestellt ist, die Ladeböcke an Deck verschweißt sind. „Auf Wiedersehen in Europa“ sagen wir schon recht leise, dann fließen doch Tränen, die man nicht verbergen will, geht doch eine wunderschöne Zeit zu Ende. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt.



Während all dieser Stunden haben Erich und Ria ein Hotel gefunden, wo wir uns alle wieder sehen, nicht jedoch ohne ein Abschiedsgetränk zuvor in der Marina Bar, unseren ersten Inselgetränken ohne Schiff. „Wie hättest du gerne die Eier morgen? fragt mich Erich nach weiteren „Alles-ist-gut-gegangen-Getränken“ an der Strandbar der lieblichen kleinen Hotelanlage an der Lindbergh Bay, an der die Wellen der Karibik lautstark anrollen, bevor sie brechen und im Abendlicht des Mondes an den Strand laufen.